Zwillinge spontan entbinden - geht das überhaupt?
Als wir erfahren haben, dass wir Zwillinge erwarten, hatte ich eigentlich gedacht, dass ich das Wunder einer natürlichen Geburt nicht noch einmal erleben kann. Für eine spontane Zwillingsgeburt müssen einige Faktoren stimmen, damit diese keine Gefahr für die Kinder darstellt. Mindestens der führende Zwilling sollte in Schädellage liegen, sie sollten keinen zu großen Gewichtsunterschied (nicht mehr als 500g) haben und natürlich gut versorgt sein. Dennoch besteht für den zweiten Zwilling immer die Gefahr, während der Geburt nicht gut genug versorgt zu werden und sich in eine andere Lage zu drehen, weshalb ein Not-Kaiserschnitt nötig werden könnte.
Der Gedanke ein Kind spontan zu entbinden und die Geburt des zweiten Kindes, aufgrund einer Vollnarkose, nicht mitzubekommen, verunsicherte mich bei der Frage der Entbindung. Ich beschloss, mich auf die Ärzte zu verlassen. Diese meinten, dass eine Frau, die bereits einmal spontan entbunden hat und deren Zwillinge beide in Schädellage liegen, beste Voraussetzungen für eine spontane Entbindung hat.
Wir wollen es versuchen!
Wir entschieden uns für die natürliche Geburt und nahmen einen Not-Kaiserschnitt in Kauf. Vier Wochen vor meinem errechneten Geburtstermin wurde schließlich ein Termin zur Einleitung bei 38 + 0 vereinbart. Zu diesem Zeitpunkt wären die Kinder auch bei einem Kaiserschnitt geholt wurden. Ich glaube, dass sie diese Zeit wählen, weil die Medizin davon ausgeht, dass Zwillinge zu diesem Zeitpunkt alles Nötige erhalten haben und nun außerhalb des Bauches gut versorgt werden. Außerdem sollten möglich auftretende Komplikationen während der letzten Tage der Schwangerschaft dadurch ausgeschlossen werden. Ich hätte mich natürlich auch entscheiden können, zu warten, war allerdings froh, dass die Ärzte ein Ende festlegten, da es mir einfach nicht mehr gut ging (siehe Bericht: Drittes Trimester).
Endlich Montag!
Endlich war der Tag gekommen. Ich wusste, dass ich mit dieser Fahrt ins Krankenhaus das letzte Mal im Auto sitze und die Kinder in meinem Bauch tragen werde. Ich werde das Krankenhaus definitiv nicht mehr mit den Kindern in meinem Bauch verlassen. Die Frage war nur, wie lange die Einleitung dauern würde und wann mein Körper auf die einleitenden Maßnahmen reagiert. Es könnte ein paar Stunden dauern. Es könnte aber auch Tage dauern.
Um 9.00 Uhr erreichten wir den Kreißsaal. Hier wurde zunächst ein CTG geschrieben und geschaut, ob mit unseren Kindern immer noch alles in Ordnung ist. Dann hieß es, wie so oft in dieser Schwangerschaft, warten – warten, dass es endlich losging. Um 12.00 Uhr kam dann endlich die Hebamme, die mir das Gel für die Einleitung geben wollte. Nach einer kurzen Untersuchung meinte sie jedoch, dass wir das Gel vergessen können. Ich fragte, warum ich das Gel nicht bekommen könne und sie antwortete, dass mein Muttermund bereits 5 cm offen sei. Wow!!! Schon die Hälfte geschafft??? Und ich habe nichts gemerkt??? Das ist ja der Wahnsinn! Bei Maries Geburt (siehe Bericht: Geburt unserer Prinzessin) lag ich für diesen Befund ganze sechs Stunden in den Wehen.
Die Hebamme äußerte schließlich, dass wir die Einleitung nun über den Tropf machen müssten, da das Gel bei diesem Befund nicht mehr gegeben werden könne. Das Problem war nur, dass kein Kreißsaal frei war. Diesen benötigten wir, da bei einer Einleitung über Tropf eine permanente CTG-Überwachung erfolgen muss. Also hieß es wieder warten.
Ich bezog in Ruhe mein Zimmer. Ich packte in Ruhe meine Sachen aus und wartete darauf, dass endlich jemand kam, um uns in den Kreißsaal zu bringen. In dieser Zeit des Wartens spürte ich plötzlich Wehen. Allerdings waren das keine Wehen, die in regelmäßigen Abständen kamen, sondern eher Unterleibs- und Rückenschmerzen, die permanent zu spüren waren. War das jetzt die Psyche, die sich einbildete, Schmerzen zu haben, weil ich wusste, dass mein Muttermund schon offen ist? Ich weiß es nicht.
Um 15.30 Uhr kam dann endlich eine Hebamme, die uns in den Kreißsaal brachte. Als ich den Kreißsaal sah, war ich überwältigt. Er war total schön hergerichtet. Es lagen bereits alle Sachen für die Kinder bereit. Ein extra großer Kreißsaal, der sich direkt gegenüber vom OP befand, war nur für uns hergerichtet. Wahnsinn!! Ich war so glücklich, denn ich wusste: Hier gehe ich nicht mehr ohne meine Kinder, die ich in meinen Armen halten werden, raus. Auch die Hebamme meinte: „Ich möchte mit Ihnen Ihre Kinder bekommen. Lassen sie uns starten.“
Neben einer Hebamme, die nur für mich zuständig war, mussten bei der Geburt zwei Ärzte anwesend sein. Für mich waren an diesem Tag zwei Ärztinnen zuständig, die sich mir persönlich vorstellten. Im Vorfeld hatte ich beschlossen, dass ich keine Studenten und Schüler bei der Geburt dabei haben wollte, um es so privat wie möglich zu haben. Demnach begleiteten die Geburt insgesamt drei Personen, wobei die Ärztinnen ganz zum Schluss (um 20.40 Uhr) dazu kamen.
Ich war so aufgeregt und zitterte am ganzen Körper. Die Schicht der Hebamme ging bis 22.00 Uhr. Ich wusste also, dass sie von einer schnellen Geburt ausging.
Bevor die Hebamme den Wehentropf legte, wurde über 30 Minuten noch einmal ein CTG geschrieben. Anschließend ging es dann endlich los. Das Mittel, was ich über den Tropf bekam, wurde halbstündig erhöht, um regelmäßige Wehen zu erzeugen, die den Muttermund weiter öffnen. Nach zwei Stunden am Tropf erfolgte die erste Untersuchung der Hebamme. Der Befund war niederschmetternd. Der Muttermund war nämlich immer noch bei 5 cm. Es hatte sich also nichts getan. Für Ungeduldige wie mich wohl der enttäuschendste Befund.
Es war inzwischen 18.00 Uhr und es hatte sich seit der ersten Untersuchung um 12.00 Uhr nichts getan. Ich dachte nur, dass es wohl doch einige Tage dauern sollte. Meine Euphorie vom Anfang war dahin.
Nach weiteren zwei Stunden (um 20.00 Uhr) untersuchte mich die Hebamme erneut. Und wieder hieß es: Muttermund bei 5 cm. „Das gibt es doch nicht. Warum tut sich da nichts.“
Starke Schmerzen hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt keine. Natürlich habe ich Wehen gespürt. Diese konnte ich aber aushalten. Sie waren kein Vergleich zu den Wehen bei Maries Geburt. Auch die Hebamme meinte um 20.30 Uhr: „Sie lachen mich ja immer noch an. Meine Schicht geht bis 22.00 Uhr. Ich glaube, sie wollen keine Kinder mit mir kriegen.“
Unsere Zwillinge werden geboren!
Ich fragte, wie wir jetzt weitermachen würden und was es für Möglichkeiten gäbe. Sie erklärte, dass wir entweder abbrechen und am nächsten Tag weitermachen („Waaaaaas????“) oder die Fruchtblase des führenden Kindes öffnen und abwarten könnten, was passiert. Diese Möglichkeiten wollte sie mit den Ärztinnen besprechen. Ein paar Minuten später kam sie wieder und erklärte, dass wir nun die Fruchtblase öffnen. Hierzu nahm sie einen speziellen Handschuh und wollte die Fruchtblase während einer Wehe öffnen.
Während dieses Vorhabens gab es einen gewaltigen Ruck im Bauch, bei dem sich Henrys Kopf ins Becken senkte. Ich hatte in diesem Moment gewaltige Schmerzen und war total erschrocken, was da gerade passiert war. Bei diesem Ruck öffnete die Hebamme gleichzeitig die Fruchtblase. Plötzlich wurden auch die Schmerzen stärker und der Muttermund öffnete sich endlich auf sieben bis acht Zentimeter. Die Geburt war nun (20.40 Uhr) in vollem Gange. Sehr schnell mussten dann auch die Ärztinnen zur Unterstützung gerufen werden. Eine Ärztin war für Henry zuständig. Die andere Ärztin musste Luis über die Bauchdecke festhalten, damit er sich nicht noch im letzten Moment dreht. Nach 19 Minuten (ich kann es immer noch kaum fassen, dass es so schnell ging) Schmerzen veratmen, wurde Henry geboren.
Henry erblickte um 20.59 Uhr mit 2910g und 48 cm das Licht der Welt. Er wurde mir direkt auf die Brust gelegt. Toby und ich konnten unser Glück kaum fassen.
Da die Geburt weitergehen musste, durfte Henry, nachdem Toby die Nabelschnur durchtrennt hatte, anschließend bei Papa auf den Arm. Toby war überglücklich. Wir waren überglücklich!
Der Wehentropf wurde noch einmal höher gestellt, sodass die Wehen wieder einsetzten. Nach und nach rutsche Luis weiter in mein Becken und es war nun klar, dass auch er natürlich entbunden werden konnte. Nachdem sich seine Fruchtblase öffnete, kam er acht Minuten nach seinem Bruder auf die Welt.
Um 21.07 Uhr erblickte auch Luis mit 2315g und 48 cm das Licht der Welt. Auch er wurde direkt auf meine Brust gelegt, während Henry mit Papa kuschelte, der sein Glück kaum fassen konnte. Luis` Nabelschnur habe ich durchtrennt, was ein unbeschreibliches Gefühl für mich gewesen ist.
Damit war es geschafft. Unsere Kinder sind gesund zur Welt gekommen. Ich hatte eine traumhaft schöne Geburt – nahezu ohne Schmerzen und mit einer tollen Begleitung durch kompetentes Fachpersonal. All die Schmerzen der letzten Wochen waren wie weggeblasen. Wir sind unglaublich stolz und glücklich, solch zwei kleine Wunder nun endlich in den Händen halten zu dürfen.
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